1945, Ende Januar. Der letzte Zug für die Evakuierung von Teilen der Bevölkerung Küstrins, war zur Abfahrt bereit. Es lag viel Schnee und es war sehr kalt. Das Ziel sollte das Rheinland sein, so die Erinnerung meiner Mutter. Hedwig Winkelmeyer und ihre Tochter Christa, meine Mutter, die damals 12 Jahre alt war, haben einen Platz in diesem Zug bekommen. Das soll wohl auch etwas damit zu tun gehabt haben, das Fritz Winkelmeyer bei der Reichsbahn angestellt war. Zu dieser Zeit galt er bereits als vermisst. Aber ob das so stimmt, weiß meine Mutter nicht mehr so genau. Tochter Luzie war zu dieser Zeit, also Januar 1945 und länger, zur Arbeit im Landdienst. Es wurde wohl höchste Zeit für die Evakuierung. Der Kanonendonner kam immer näher. Die Familie Winkelmeyer wohnte damals in der Eisenbahnsiedlung, Kutzdorfer Str. 88, gegenüber dem Sägewerk. An Gepäck waren dabei, ein Wäschekorb mit den nötigsten Sachen und was man in der Schnelle so alles einpacken konnte und was in den Wäschekorb passte. Und ein Schlitten. Der Schlitten war noch bis in die 70ziger Jahre in Benutzung. Den gibt es allerdings nicht mehr.
Der erste Halt des Zuges, in dem sich Hedwig Winkelmeyer und meine Mutter befanden, war Brandenburg an der Havel. Hier haben beide den Zug verlassen, mit den Worten meiner Oma Hedwig, wenn wir hier aussteigen, haben wir es nicht so weit nach Hause zurück. So aus der Erinnerung meiner Mutter. Meine Oma hat Küstrin nie wieder gesehen.
Das Ende des Krieges haben beide in Brandenburg an der Havel erlebt. Hier waren sie als Flüchtlinge lange bei über 5 Familien untergebracht. Dabei waren immer der Wäschekorb mit ihren Habseligkeiten und der Schlitten. Als Flüchtlinge haben sie sowohl gute als auch schlechte Erfahrungen in den ihnen zugewiesenen Unterkünften bei den verschiedensten Familien gemacht. Erwünscht waren sie in der Regel nicht. Und das Schlimmste war der Hunger. Irgendwann haben dann beide eine Wohnung, Wohnküche und Zimmer mit Innentoilette, in Brandenburg Görden zugeteilt bekommen.
Der Wäschekorb hat weiter seine Dienste verrichtet. Umzug von Brandenburg nach Berlin, von Berlin nach Finsterwalde und von dort nach Halle an der Saale. Der Wäschekorb wurde benutzt und offensichtlich wurde schonend mit ihm umgegangen. Die letzten 60 Jahre war er jeweils im Keller deponiert und wurde nicht mehr oder nur selten genutzt. Die Keller waren trocken und der Wäschekorb immer abgedeckt gelagert. So die Erinnerung meiner Mutter. Das war auch die Zeit vor 60 Jahren, mit „Plaste und Elaste aus Schkopau“. Wäschekörbe und andere Dinge aus Plastik wurden modern und wurden genutzt.
Es war wohl auch ein glücklicher Umstand, das sich meine Mutter von bestimmten Sachen, die mit einer Erinnerung verbunden waren und sind, nur sehr schwer trennen konnte und kann. Meine Mutter ist mit ihren mittlerweile 91 Jahren ins betreute Wohnen umgezogen. Und sie ist geistig noch total fit. Im Zuge der Vorbereitungen für den Umzug tauchte dann besagter Wäschekorb im Keller auf. Auf meine Frage hin, was ich damit machen soll, die Antwort, das ist der Wäschekorb, mit dem wird 1945 aus Küstrin weg sind. Der bleibt und muss mit.
Was sollte jetzt mit dem Wäschekorb in der neuen Wohnung passieren? Da ist wenig Platz. Darum meine Idee, fragst mal an, ob das Museum in Küstrin-Kietz was damit anfangen könnte. Meine Mutter ist einverstanden, den Wäschekorb an das Museum abzugeben. Es liegt in der Entscheidung des Museums, was mit dem Wäschekorb passiert. Ausstellen, nicht ausstellen, was auch immer. Wie es ins Konzept passt.
Nachtrag: Der Opa meiner Mutter, der damals noch lebte, Anton Valentin Grelka, geb. am 05.01.1862, durfte den letzten Zug für die Evakuierung nicht besteigen. Wie viele andere ältere Menschen auch. Sein Schicksal ist unbekannt. Aus der Erinnerung meiner Mutter wurde gesagt, um die alten Leute kümmert man sich anders. Haben die Nazis die alten Leute einfach im Stich gelassen?
Den Wäschekorb können Sie sich in unserem Museum im Kulturhaus Küstrin-Kietz ansehen.
Niedergeschrieben von: Erhard Braun