Ein Zwölfjähriger in Nöten

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Vorausschicken möchte ich, daß das Haus meines Großvaters, des Klempnermeisters Georg Torff, in der Küstriner Altstadt das letzte Haus in der Dammstraße war. Lediglich eine große Kastanie und ein schmaler Wallgang trennten es von dem gewaltigen Festungsmassiv, den "Hohen Kavalier", dessen Abriß 1931/32 erfolgte.

Im ersten Stockwerk dieses Hauses lebte unsere Familie, während Großvater für sich allein wohnte, seitdem seine Frau früh verstorben war. Ich selbst war zu jener Zeit 12 Jahre alt, Schüler der Knabenmittelschule in Küstrin-Altstadt, und trug jeden Morgen auf dem Wege zur Schule stolz meine grüne Schülermütze, die mit einem rot-weiß-rotem Band versehen war, Zeichen, daß ich mich bereits in der Quinta befand.

Es war die Woche vor Pfingsten. Links und rechts der Ladentür schmückten zwei große Birkenzweige den Eingang. Die Tür stand den ganzen Tag über offen. Großvater, der mich auf dem Hof erspäht hatte, fragte mich, ob ich ihn mal für eine Stunde im Laden vertreten könnte, er müßte mal "aufs Rathaus". Da ich meine Schulaufgaben bereits erledigt hatte, willigte ich ein und erhielt darauf ein paar Anweisungen von ihm, worauf ich alles Obacht geben zu hätte. Daraufhin verschwand mein Großvater im dunklen Anzug, weißem Hemd und gestriegelten Bart in Richtung Marktplatz.

Es verging nicht viel Zeit, da fand sich bereits ein Kunde ein, um einen verschweißten Lampenfuß abzuholen. Ich wies ihm den Weg über den Hof zur Schlosserei, wo unser Meister, Herr Schwarzkopf, dem Kunden den Lampenfuß aushändigte. Ich war etwas erleichtert, insbesondere auch deshalb, da der Kunde passendes Geld hatte. In der nächsten halben Stunde spielte sich nichts ab. Großvater hatte mir erlaubt, während seiner Abwesenheit mir im Kontor neben dem Laden seine Münzsammlung anzusehen. Dieser Raum war für einen Jungen in meinem Alter von riesigem Interesse. An den Wänden hingen Säbel, Bajonette, aber auch alte Bilder aus seiner Potsdamer Zeit, er war ja geborener Potsdamer. Ich bestaunte immer wieder jeden einzelnen Gegenstand, behielt jedoch durch ein Glasfenster den Laden im Auge. Nach einiger Zeit betrat ein junger Mann, einen Kopf größer als ich, das Geschäft und erkundigte sich nach einem Glaszylinder für eine Petroleumlampe.

Diese Frage sorgte bei mir für ziemliche Irritation, wußte ich doch partout nicht, wo ich nach einem solchen Glaszylinder suchen sollte, denn hierüber hatte mein Großvater nichts verlauten lassen. Schließlich entdeckte ich dann doch in einem Karton unter dem Ladentisch, eingewickelt in Seidenpapier, einen solchen Zylinder. Wohl vor Freude darüber, daß ich auch dies gemeistert hatte, griff ich wohl zu hart zu, und peng, der Zylinder zersprang in viele Stücke. Ich legte ihn beiseite und fand dann noch einen Zylinder, welchen ich dem jungen Mann, sofern ich mich recht erinnere, für 24 Pfennig verkaufte.

Doch das richtige Dilemma sollte erst noch kommen. Es stellte sich nämlich heraus, daß der Kunde kein passendes Geld hatte, und von Wechselgeld hatte mir Großvater nichts gesagt; außerdem war die Kasse ziemlich leer. So bat ich den Kunden um etwas Geduld, ließ ihn im offenen Laden allein zurück, eilte zum Nachbarn Liebenau, der mir mit Kleingeld aushalf. Auf einmal wurde mir bewußt, daß ich vermutlich einen großen Fehler begangen hatte, denn sicherlich hätte ich den Kunden nicht allein im Laden lassen dürfen.

Von schweren Gedanken erfällt, trabte ich zum Laden zurück. Was würde wohl mein Großvater sagen, wenn er von dieser Sache erfuhr? Schlimmer aber noch, wenn ich ihm auch noch beichten mußte, daß mir ein Petroleumzylinder durch meine Ungeschicklichkeit zerplatzt war.

So überlegte ich hin und her. Sollte ich dem Großvater alles gestehen oder nicht. Schließlich kam mir die Idee, den zerbrochenen Zylinder wieder in den Karton zurückzulegen und ihn ganz nach unten zu schieben. Nun zitterte ich allerdings, ob mein Großvater dies doch noch bemerken und vor allem an welchem Tag dies der Fall sein würde. Eine ganze Nacht lang vermochte ich nicht zu schlafen. Damals lernte ich, daß es wohl besser sei, immer ehrlich zu bleiben, weil man dann ein ruhiges Gewissen besitzen würde.

Von Ernst Brieger