in: Die Mark, Heft 20, 1996; Königsberger Kreiskalender 1997
Noch vor einigen Jahren hätte niemand diese Feststellung ernst genommen. Schließlich war die Altstadt zu 100% zerstört und die Wälle der Festung von meterhohem Schutt bedeckt bzw. durch starken Wildwuchs von Bäumen und Sträuchern verdeckt. Die Wurzeln der Bäume drohten die letzten Flanken der Wälle zu sprengen. Und schließlich krönten auch noch die Blechhütten von polnischen Kleingärtnern die Bastionen und verschandelten das Bild vollkommen. Mit Recht nannten die alteingesessenen Küstriner die Altstadt das ,,Stalingrad Deutschlands" oder auch ,,das deutsche Pompeji". Das polnische Kostrzyn war eine arme Stadt. Es hatte ebenfalls durch den Krieg starkgelitten. In den Anfängen der polnischen Besiedlung nach 1945 wurden viele Fehler gemacht. Wer kann das den polnischen Umsiedlern aus Ostpolen heute verdenken, ging es doch bei ihnen um das nackte Überleben. Sie mußten wohl auch mit ansehen, wie selbst die Schloßruine abgetragen wurde und die dabei gewonnenen Steine per Bahn nach Warschau transportiert wurden, weil die Regierung das so befohlen hatte.
Das Albrechtstor, 1927 abgetragen
Obwohl die Brücken über Oder und Warthe gleich nach dem Kriege instandgesetzt worden waren, blieb der Verkehr auf die Eisenbahn beschränkt. Aber es rollten nur Tausende von Güterzügen mit Reparationsleistungen der sowjetischen Besatzungszone und später der DDR über die Brücken. Es gab keinen Personenverkehr.
Und wir waren doch ,,befreundete Staaten", die Volksrepublik Polen und die Deutsche Demokratische Republik. Die Freundschaft stand nur auf dem Papier; und wer gerecht sein will, muß sagen, daß sich die Völker sogar noch entfremdeten. Nur ein einziges Mal gab es starken Verkehr über die Straßenbrücken. Als der ,,Prager Frühling" von den Armeen des ,,Warschauer Vertrages" blutig beendet wurde, passierte eine sowjetische Panzerarmee auf dem Wege nach Prag die Grenze. Dazu wurden die Schlagbäume kurzfristig geöffnet. Wer damals mit wachen Augen die Westgebiete Polens bereiste, mußte feststellen, daß es dort nur geringe Bautätigkeiten gab. Polen war sich bis zur Wende dieser Gebiete durchaus nicht sicher, man mißtraute den Deutschen.
Dann kam die Wende, und auf einmal war alles ganz anders. Die deutsch-polnischen Verträge erkannten die Oder-Neiße-Grenze als endgültig an. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung hüben und drüben wurden die Grenzübergänge geöffnet. Auf dem Gelände zwischen Oder und Warthe entstand einer der größten Basare Westpolens, der nun täglich von Tausenden von deutschen Käufern besucht wird. Laut Presseberichten soll der Grenzübergang Küstrin der landschaftlich am schönsten gelegene sein. Die Stadt Kostrzyn blüht seitdem auf. Sie ist nun eine der reichsten Städte Polens geworden. Überall herrscht rege Bautätigkeit. Leider geht das aber auch zu Lasten des deutschen Teils von Küstrin, denn hier ist nun eine Rückwärtsentwicklung eingetreten, die bisher nicht aufzuhalten war.
Nun ist auch Geld da, um die Festung zu retten. Ein Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit der Festungsstädte Küstrin, Spandau und Peitz, soll weitere Finanzquellen erschließen. Die Erwartungen der Polen in dieser Hinsicht sind aber wohl zu hoch gesteckt. Trotzdem begann man mit umfangreichen Aufräumungsarbeiten. Aber leider haben bei diesen Arbeiten nicht die Denkmalspfleger und Naturschützer das Sagen. Straße für Straße der Altstadt wurde freigebaggert. Dabei wurden manche erhaltenswerte Teilstücke der alten Bürgerhäuser einfach umgebaggert, wie Mitglieder unseres Verein beobachten konnten.
Reste der Marienkirche, Blick nach Westen
Überall, wo Trümmerschutt das Pflaster verdeckt hatte, kamen auch die Reste der alten Bürgersteige zum Vorschein. Das Mosaikpflaster vor der alten Kommandantur ist wieder - wenn auch stark beschädigt - sichtbar geworden.
Offensichtlich sind aber bei den ersten Enttrümmerungsarbeiten nach 1945 auch die Pflastersteine ganzer Straßenzüge, wie z.B. der Kietzer Straße, den Weg nach Warschau gegangen. Mit größerem Einfühlungsvermögen hat man sich der Reste der alten Festungsmauern angenommen. Die Kronen der Wälle und Bastionen sind schon zum großen Teil mit schützenden Betonabdeckungen versehen worden, ohne daß das Gesamtbild dabei Schaden genommen hat. Viele Bürgerhäuser der Altstadt waren noch mit Ziegeln alten Formats gemauert worden. Diese hat man gesammelt und verwendet sie nun, um Lücken in den Wällen zu schließen. Oft sieht es leider so aus, als wenn Hilfskräfte dabei am Werke sind. Überfällig war die Beseitigung des Wildwuchses an den Bastionen.
Zahlreiche Bäume hatten schon eine beachtliche Höhe erreicht und deren Wurzeln eine roße Sprengkraft in den von den Kämpfen hinterlassenen Mauerlöchern und -rissen erreicht. Manche Teilstücke der Festung sind nun wieder in alter Schönheit sichtbar. Freigelegt wurden auch unterirdische Teile der Festung, die Kasematten. Im Augenblick sind sie noch nicht alle gefahrlos zu begehen, was sich aber sicher noch ändern wird.
Die freigeräumte Berliner Straße mit dem Berliner Tor. Reste der Führung der Straßenbahnschienen sind erkennbar. |
Die Bastion Philipp und das Kietzer Tor, ein Teil des Scherbenhaufens |
In einigen gesicherten großen Räumen fanden schon festliche Veranstaltungen der Stadt Kostrzyn statt. Sie wurden mit Begeisterung aufgenommen. Trotz aller Kritik sind wir den Polen dankbar, daß sie die Küstriner Altstadt freigelegt und die Festung vor weiterem Verfall geschützt haben. Sie haben die hohen Kosten nicht gescheut. Ein Teil deutscher Geschichte tritt wieder an das Licht der Öffentlichkeit. Wir hoffen, daß nun auch endlich Mittel freigemacht werden, um die Teile der Küstriner Festung zu schützen, die sich noch auf deutschem Territorium befinden. Es handelt sich um das noch gut erhaltene Gorgaster Fort und die stark zerstörte Lünette auf der Oderinsel Küstrin-Altstadt.
Sicher werden die Polen bald das Berliner Tor für den Tourismus und den Fußgängerverkehr allgemein öffnen. Einer Besichtigung der Küstriner Altstadt und der Festung einschließlich der Kasematten, steht dann nichts mehr im Wege. Jeder, der diese Zeilen liest, sollte sich dann auf den Weg machen. Das Ziel lohnt einen Besuch. Der Blick vom Kattewall auf den Oderstrom wird jedem unvergeßlich bleiben. Das Mahnmal Küstrin wird jeden Besucher erschüttern und die Sinnlosigkeit aller Kriege vor Augen führen.
Leider sind die Polen nicht auf den Vorschlag unseres Vereins eingegangen, die Reste der zerstörten Altstadt als Flächenmahnmal zu erhalten. Sie haben erste Investoren gefunden, die die Altstadt im alten Stil wiederaufbauen und bevölkern wollen. Gehen sie dabei so behutsam, wie z.B. in Warschau, Danzig und Breslau vor, dann verdient das durchaus unsere Unterstützung.
Im Auftrag des ,,Verein für die Geschichte Küstrins e.V."
Rudi Vogt