Wir waren sieben Geschwister und sind aufgewachsen in der Weimarer- und in den Anfängen der Nazizeit. Es gab in Deutschland sieben Millionen Arbeitslose. Obwohl unser Vater als Kriegsversehrter bei der Bahn als Schrankenwärter eine feste Anstellung hatte, frage ich mich heute immer wieder, wie uns unsere Mutter damals alle satt bekommen hat. Und ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals trocken Brot mit Stulle gab. Die Mütter waren damals sehr erfinderisch.
Mich schüttelt es heute noch, wenn ich an die sauersüßen Kartoffeln denke. Das war eine einfache Kartoffelsuppe mit einer Prise Salz, etwas Zucker und einem Löffel Essig, aufgebessert mit angebratenen Zwiebeln. Etwas besser schmeckten schon die Heringskartoffeln, Kartoffelsuppe mit einem kleingeschnittenen Salzhering und in Speck angebratenen Zwiebeln.
Fast ein Festessen war es, wenn es Pellkartoffeln mit Leinöl und einer Prise Salz gab. Und gab es dazu dann noch weißen Käse (Quark) mit Zwiebeln, glänzten unsere Augen. Den Käse hatte meine Mutter immer selbst aus saurer Milch hergestellt, um ein paar Pfennige zu sparen.
Man ließ die saure Milch durch ein sauberes Leinentuch ablaufen, und fertig war der Quark. Der hat mir damals weitaus besser geschmeckt als der Quark, den es heute in Plastebechern in jedem Supermarkt gibt.
Und erst Leinöl! Das brachte uns ein Händler, der mit einer Milchkanne voll Öl, einer Schöpfkelle und einer Bimmel (kleine Glocke) unterwegs war, bis an die Wohnungstür. Nie wieder habe ich solch frisches Leinöl gerochen bzw. gekostet.
Hatte unser Fleischer Saremba Schlachttag, dann gab es frische Wurstsuppe für Stammkunden umsonst. Da musste man sich dranhalten, um etwas abzubekommen. Und war die Fleischersfrau gutgelaunt, landete auch manchmal eine beim Brühen aufgebrochene Wurst in meiner großen Emaillekanne. Ich muss gestehen, dass diese Wurst selten das elterliche Haus erreichte, war der Heißhunger darauf doch zu groß.
Zu Hause angekommen, wurde erst einmal das überflüssige Fett oben abgeschöpft. Dieses Wurstschmalz ergab einen heißbegehrten Brotaufstrich. Am nächsten Tag stand dann Wurstsuppe mit Pellkartoffeln auf Mutters Speiseplan.
Kurz vor Ultimo musste ich oft für einen Sechser (5-Pfennigstück) Zippelwurst vom Fleischer holen. Die reichte abends für uns alle zum Brotaufstrich und noch für Vaters Stullen zur Arbeit.
Roch es in der Küche nach Brühsuppe, dann hieß das noch lange nicht, dass auch Rindfleisch in der Suppe war. Das hatte Mutter vorher herausgenommen, ehe die Suppe auf den Tisch kam. Am nächsten Tag gab es das Kleingeschnittene in Mostrichsoße und Salzkartoffeln. Bleibt heute Fleisch in unserem Haushalt von einer Mahlzeit übrig, bitte ich meine Frau, mal wieder Mostrichsoße zu kochen; und gern stillt sie dieses Verlangen nach Mutters Hausmannskost.
Ich kann mich nicht erinnern, je in meiner Kindheit einen geschälten Apfel gegessen zu haben, und auch der Griebsch (Kerngehäuse) musste mitgegessen werden. Es gab damals allerdings noch keine gewachsten äpfel. Meist holten wir sie uns frisch vom Baum, und der stand nicht immer im eigenen Garten.
Wenn ich heute in der Gaststätte ein Kotelett esse und mein Gegenüber wundert sich, dass ich auch den Knochen abknabbere, so kann ich den nur bedauern. Das Fleisch am Knochen schmeckt am besten. Und was man als kleiner Junge tun musste, ist schwer aus einem herauszukriegen.
Ich war noch nicht den Kinderschuhen entwachsen, da starb meine Mutter. Sie liegt auf dem Waldfriedhof in Küstrin-Neustadt begraben. Schmücken konnte ich ihr Grab nach dem Krieg nicht mehr. Der Friedhof war sinnlos zerstört worden. Auch die Polen haben viele Dummheiten begangen.
Rudi Vogt